Mein persönlicher Jahresrückblick auf 2023 - Die Wahrheit liegt in der Mitte
Mir fällt es schwer auf das vergangene Jahr zurückzuschauen. Nicht, dass dort nichts Wichtiges passiert wäre, nicht, dass ich nicht wüsste worüber ich schreiben möchte. Es ist eher so, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll.
Das Jahr 2023 war „ausreichend“ ereignisreich. Sowohl im Privaten wie auch im gesellschaftlichem und politischem Bereich. Auch in Hinsicht auf das Weltgeschehen könnte man mehrere Bände über das Jahr 2023 verfassen. Und dennoch ist es ein Jahr, dass für mich nur schwer zu fassen ist. Es war einfach viel zu schnell vorbei. Wie zunehmend alle Jahre für mich zu schnell werden und ich zunehmend das Gefühl habe, mit diesem Tempo nicht mehr Schritt zu halten.
Ich fühle mich überfordert, überrollt, werde immer wieder überrascht, renne den Ereignissen und auch meinen Aufgaben hinterher und habe immer das Gefühl, nicht genug, nicht schnell genug zu sein. Diese Zeiten, in denen wir leben, machen mich nervös und lassen mir nicht die Zeit die ich bräuchte, um mich zu fassen, um meine Gedanken zu ordnen oder gar mir Strategien auszudenken, wie ich „mit diesen Zeiten“ umgehen soll. Ich werde wohl alt, denn dieses Gefühl kannte ich in dieser Form bisher nicht.
Immer häufiger muss ich mir gedankliche Auszeiten nehmen. Muss ich Nachrichten und Ereignisse ausblenden, da ich die vorherige Meldung, dass vorherige Ereignis noch nicht richtig erfasst habe. Es ist ein wenig so wie damals, als ich begann ein schlechter Mathematikschüler zu sein. Ich hatte irgendwann den Anschluss verpasst und mir fehlte für jede neue Aufgabe immer gerade die vorherige Erkenntnis, die Grundlage auf der ich die neue Aufgabe hätte lösen können. Also versuchte ich nachzuarbeiten und befand mich bald in einer Dauerschleife des „hinterherrennens“. Stets war ich einen Schritt hintendran und konnte im Unterricht den neuen Dingen nicht folgen, weil ich noch mit den alten Aufgaben beschäftigt war. Mir war das damals nicht bewusst, sonst hätte ich den Mangel akzeptiert und mich dennoch ganz auf das Neue konzentrieren können und gemeinsam MIT dem Neuen das Alte aufgearbeitet.
Heute bin ich diesbezüglich sowohl etwas schlauer als damals, aber insgesamt auch etwas gelassener. Gerade in Hinsicht auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen weiß ich sehr genau, dass die Welt sich völlig unbeeindruckt weiterdreht, ob ich Anteil daran nehme oder nicht. Mein eigenes Dasein ist per se erst einmal zu klein um etwas zu verändern in diesen Turbulenzen einer immer schnelleren und immer komplexeren Welt. Es ist nicht wichtig für diese Welt, ob ich teilnehme, mich engagiere, up-to-date bin oder stets zu allem eine „richtige“ und feste Meinung habe. Für mich ist das eine Erfahrung über die Zeit, aber insbesondere eine Erfahrung des Jahres 2023: im ersten Schritt ändert sich gar nichts dadurch, ob ich etwas zur Kenntnis nehme, mir schnell eine Meinung bilde oder diese Meinung gar äußere und dadurch versuche, mich in einen Diskurs einzubringen. In 2023 habe ich gelernt, mehr Beobachter zu sein, Dinge und Ereignisse auf mich wirken zu lassen und mir mehr Zeit zu nehmen mich zu äußern. Oder es gar zu lassen.
Denn auch das ist eine bereits vorhandene Erkenntnis, die sich aber in 2023 in einer neuen Art und Weise gezeigt hat: Meinungen sind zu schnell gefasst. Es ist immer häufiger so, dass mit unzureichender Faktenbasis (und oft aus unlauteren Motiven) Urteile gefällt werden. Meinungen entstehen heute ohne den nötigen Meinungsbildungsprozess, sondern bereits einfach aufgrund von Behauptungen (oder gar bewussten Lügen). Das beste Beispiel dafür sind die Beobachtungen die man machen konnte rund um das Thema „Heizungsgesetz“. Wer diese Diskussion ehrlich und unvoreingenommen noch einmal Revue passieren lässt, wird aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Dieses Thema war ein Paradebeispiel dafür, wie man mit schlichten (unwahren und ungeprüften) Behauptungen Emotionen und Stimmungen erzeugen kann, die einer Gesellschaft, einem politischem System großen Schaden zufügen. Ich bin immer noch erschüttert darüber und die Frage, über die ich noch kein endgültiges Urteil gefällt habe (für mich) ist die, ob die Hauptakteure dieser sehr unwahren Diskussion (oder eher Polemik), wider oder trotz besseren Wissens den Schaden an unserem politischen Diskurs billigend in Kauf genommen haben, um ebenso billigen poltischen Erfolg statt mit eigenen Inhalten durch Polemik (oder gar Hass) zu erzielen. Wie gesagt - ich bin erschüttert.
Denn was ist hier passiert? Was war denn das eigentliche Ergebnis der „Diskussion“? Meine Beobachtung ist die: ein wichtiges Thema (Klimaschutz in seiner „Dringlichkeit“) wurde unter falschen Behauptungen sabotiert. Weil es immer noch Menschen gibt die glauben, es würde sich „etwas“ verändern, ohne das Wir und und unser Verhalten verändern. Für diese abwehren Haltung habe ich sogar ein wenig Verständnis, denn das Thema „Heizung“, oder generell das Thema Energie sind ja bei weitem nicht die einzigen Themen, die dringend nach Veränderung rufen. Das sind schon harte Bretter, die gebohrt werden wollen und nicht nur zwei oder drei harte Bretter, sondern ein ganzes Sägewerk voll davon. Das beeindruckt, verunsichert und man weiss dann wirklich nicht welches dicke Brett man da zuerst bohren soll. Noch einmal - ich habe Verständnis für diese Überforderung, für diese Hilflosigkeit die das in uns auslösen kann und sogar auch für die Lähmungen, die eine solche Überforderung bei jedem Einzelnem auslösen kann. Und genau hier erwarte ich „Führung“. Irgend müssen wir anfangen uns zu verändern und irgendwer muss das in die Hand nehmen und loslegen. Das dürfen und sollten wir nicht sabotieren und die, die dann diese notwendigen Veränderungen sabotieren, die uns wieder in die Agonie zurückwerfen - die sollten wir anprangern. Jene sind es, die nichts tun um die Probleme zu lösen, sondern durch den erzwungenen Stillstand unsere Probleme immer größer werden lassen. Darüber müssen wir nachdenken, reden und davon müssen wir uns lösen. Die Veränderung generell, die Herausforderung dass wir uns und unser Verhalten ändern müssen - es wird nicht weggehen. Jedes Zögern und Verzögern wird unweigerlich dazu führen, dass die kommenden Schritte immer größer und auch immer „brutaler“ werden. Es gibt kein „weiter so“ und es gibt auch kein „lass das mal probieren, abwarten und dann sehen wir mal weiter“. Das sind bereits gescheiterte Konzepte. Und nicht nur sind es gescheiterte Konzepte - diese Argumentation ist es, die uns in vielen Lebensbereichen überhaupt erst in eine Situation gebracht haben, in der Handeln und Maßnahmen nun tatsächlich einmal „alternativlos“ werden.
Wie aber konnte es kommen, dass dieses „Heizungsthema“ unsere Gesellschaft regelrecht spalten konnte? Wie konnte es kommen, dass darüber Personen in einer Art und Weise diskreditiert wurden die wirklich nicht gerechtfertigt war? Wie konnte es dazu kommen, dass große Teile unserer Bevölkerung unsere „gesamte Regierung“ darüber als „die schlechteste Regierung die wir jemals hatten“ abklassifizierten? Darüber können sich kluge Köpfe vermutlich wochenlang die Köpfe heißreden und es gibt tatsächlich seitens der Akteure viele Fehler und Mängel die man feststellen kann. „Schlechte Kommunikation“ ist hier das offensichtliche Versagen, „überhastet und eilig“ könnten weitere Erklärungen sein. Aber auch die Rolle der Medien darf hier nicht übersehen werden. Für schnelle Klicks und „laute Wahrheiten“ wurde hier die Diskursfähigkeit und das Aushaltevermögen, die Ausgewogenheit und die Nachdenklichkeit zu Grabe getragen. Und das ist ein zunächst unheilbarer Schaden, der uns noch eine lange Zeit beschäftigen wird. Die Fähigkeit als Gesellschaft unvoreingenommen zunächst beiden Seiten zu lauschen, Fakten und Argumente anzuhören und sich am Ende ein ausgewogenes Urteil und ein ausgewogenes Bild machen zu können wurden in einer Art und Weise beschädigt, die ich zumindest für eine Weile lang für nahezu unheilbar halte. „Die Wahrheit liegt in der Mitte“ - dies wurde uns genommen und wird sehr schwer wieder zu etablieren sein.
Wenn wir über andere Ereignisse dieses Jahres nachdenken, dann werden wir auch dort immer mehr einen Rückfall in ein „schwarz-weiss- Denken“ verzeichnen müssen. Immer mehr geraten wir in Stimmungen, in denen Meinungen, Ideen, Konzepte als diametral gegenüberstehend beschrieben werden und wir übersehen zunehmend die Schnittstellen, an denen man scheinbar unterschiedliche Konzepte miteinander verknüpfen kann. Eine „ich habe recht und Du hast unrecht“-Stimmung ist das neue normal. Das „lass uns nach gemeinsamen Lösungen suchen“ nur noch ein Feigenblatt, ein Lippenbekenntnis, keinesfalls eine verbindende Philosophie mehr.
Und das ist für mich das Ergebnis des Jahres 2023. Wir haben Gräben ausgehoben statt Brücken zu bauen. In einer immer komplexer werdenden und von Krisen geschüttelten Welt wollen wir zunehmend einfache Lösungen. Wir sind ungeduldig geworden (andere sagen“müde“) und Viele sehnen sich nach einem „Basta“. Allein - es wird nicht besser werden dadurch - im Gegenteil. Wir sind gerade dabei, Geister heraufzubeschwören, die wir so schnell nicht wieder loswerden könnten. Und das im Land des „Zauberlehrlings“. Das ist irgendwie schon ein Treppenwitz der Geschichte.
Das klingt jetzt alles eher fatalistisch. Es klingt so, als hätte ich das Unveränderliche akzeptiert oder gar aufgegeben. So möchte ich es aber nicht verstanden wissen. Für mich ist dieses Nachdenken über 2023 heilsam. Es versöhnt mich mit diesem Jahr, denn ich habe für mich neue Erkenntnisse gewonnen. Ich habe etwas gelernt. Und dieses Gelernte wird mich befähigen Dinge und Entwicklungen anders zu sehen. Ich kann sie anders einordnen und sie sind dann weniger belastend für mich. Dadurch ändert sich nichts - das ist vielleicht das wirklich Negative daran. Aber es macht mich nicht krank, ich kann ruhiger sein, ich kann mir die Zeit nehmen über Dinge nachzudenken und mir langsamer meine Meinungen zu bilden. Es kommt nicht darauf an jederzeit und sofort Dinge zu verstehen, einzuordnen oder gar ad hoc Meinungen (oder gar Lösungen) zu haben. Trotzdem aller Eile, trotz so vieler Dringlichkeiten kann ci persönlich mit Zeit nehmen. Die Welt dreht sich nicht um mich, das Geschenk da draußen hängt nicht von mir ab. Diese Erkenntnis sorgt dafür das es mir besser geht. Und wenn es mit besser geht - dann geht es auch der Welt da draußen besser. Deswegen sollten wir alle das machen.
Wir sollten unsere Meinungen langsamer bilden. Wir sollten allen Seiten offen zuhören. Wir sollten Fakten den Vorzug vor Meinungen geben. Wir sollten uns etwas mehr Zweit nehmen, damit wir letzen Endes schneller darin vorankommen, die wirklich drängenden Probleme zu lösen. Und wir sollten unsere eingeschränkten eigenen Fähigkeiten (intellektuell und physisch) zur Kenntnis nehmen und wieder häufiger zu der Erkenntnis gelangen: Die Wahrheit liegt in der Mitte.
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